23 Uhr

_________________
Homo doctus in se semper divitias habet.
(Ein gebildeter Mensch hat immer Reichtum in sich.)

Nein, sie ist keine Alkoholikerin. Wirklich nicht. Auch wenn das Sektglas in ihrer Hand dagegen spricht. Und die Tatsache, dass es schon das dritte ist. Aber immerhin ist Silvester und da darf man feiern, sogar als Lehrkraft, oder etwa nicht? Mag sein, dass Sharona sich auch so einiges schöntrinkt, die Weihnachtsferien sind bisher nicht ganz so gelaufen wie sie geplant hatte, aber im Großen und Ganzen trinkt sie, weil es alle tun, der Sekt gut schmeckt und es eben Silvester ist. Kurz vor Mitternacht sogar. Weshalb hetzt sie dann durch die Korridore, anstatt nach draußen zu gehen? Will sie das Feuerwerk verpassen? Nein, sie hat sich nur in den Kopf gesetzt, dass ein alter Bekannter es ebensowenig verpassen soll. Vor einigen Minuten stand Sharona noch in der Großen Halle, um mit den anderen Lehrkräften heitere Gespräche zu führen und Sekt zu vernichten, als Conells Name fiel. Wo er denn wäre, der Auror. Ob er gar nicht an der Feier teilnimmt. Solche Dinge. Und Sharona kann sich gut vorstellen, wie der Brummbär in seinem Büro sitzt und arbeitet, anstatt zu feiern. Dass er auch kein Interesse am Feuerwerk hat, weil es ja so viel wichtigeres zu tun gibt. Er scheint sowieso nur für seine Arbeit zu leben, etwas, das Sharona nicht verstehen kann. Arbeit als Hobby, na klar. Arbeit als Leidenschaft, okay. Arbeit als Lebensinhalt ... nein. Und es fiel die spontane Entscheidung, ihn zumindest heute Abend zu seinem Glück zu zwingen. Ein wenig Sekt, ein wenig Fröhlichkeit, ein tolles Feuerwerk - das muss einfach sein. Deshalb ist die angeheiterte Lehrkraft auf dem Weg zu seinem Büro, in Begleitung von viel Enthusiasmus und überzeugenden Argumenten wie 'Aber es ist Silvester!'. Sharona ist wie immer sehr optimistisch und trägt ein entsprechendes Lächeln zur Schau, als sie wenig später an der Türe zu Conell McGraths Räumen anklopft. "Ich bin's!", flötet sie, damit er nicht auf die Idee kommt, es stünde ein Schwarzmagier vor der Tür, den er mit einem Avada Kedavra begrüßen müsste. Zuzutrauen wäre es ihm. Sie streicht ihr rotes Abendkleid glatt, zupft an ihrer Frisur und fragt sich dann, warum sie das tut. Und wo hat sie eigentlich ihren Umhang liegen gelassen? Oh, und das Glas sollte sie verschwinden lassen, sonst hält Conell sie vielleicht doch noch für eine Alkoholikerin. Mit einer eleganten Bewegung verpufft der Sekt ins Nichts.

_________________
"Humor ist der beste Regenschirm. Man hat ihn immer dabei und er hilft nicht nur bei Regen."
-

(Einstieg)

Das Klopfen an der Türe kommt unerwartet. Unerwartet genug, als dass es den Auroren überstürzt aufschrecken lässt. Die Stimme die das Klopfen begleitet erscheint ihm jedoch noch viel überraschender: Sharona. Seit dem Weihnachtsessen hat er sie gemieden. Die Präsenz eines so lebhaften Stücks seiner Vergangenheit hat ihn merklich aus dem Konzept gebracht. Und dies kann er sich bei seiner Aufgabe nicht leisten. Und um sie zu meiden, hat er seit Weihnachten seine Gemächer kaum verlassen. Nur früh morgendliche Joggingrunden rund ums Schloss. Noch bevor die Sonne aufgeht oder die wenigen Lehrkräfte oder Schüler, die über Weihnachten bleiben, aufstehen. Das Essen wurde während den letzten Tagen stets pünktlich von einem Hauselfen geliefert. Unsichtbar und unentdeckt. Bewundernswert in Conells Ansicht, wie die Hauselfen sich unbemerkt durch das Schloss bewegen. Kein wunder, dass Ana sich extensiv mit dieser Art der Magie auseinander gesetzt hat.
Conell lässt Sharona keine Zeit ein weiteres Mal zu klopfen und erhebt sich, obwohl er durchaus mit dem Gedanken gespielt hat, die Anfrage unbeantwortet zu lassen. Wieder in der aufrechten Position erkennt Conell jedoch das chaotische System an wild verteilten Notizen, Akten und Aufzeichnungen. Alles voller sensibler Information. Nichts was Sharona zu Gesicht bekommen sollte.
„Einen Moment bitte.“, antwortet er schliesslich nach einigen Augenblicken. Es ist ihm ungewohnt seine eigene Stimme zu hören. Vielleicht hat er doch zu lange hier drin gesessen? Mit einem Schwenk seines Zauberstabs stapeln sich die Papiere, gleiten in Mappen und legen sich selbständig auf den Tisch. Mit einem weiteren Schwenk belegt er die Mappe mit einem Fluch, der überneugierige Schnüffler aufhalten soll.
Erst dann entriegelt er die Türe und öffnet diese..
„Sharona.“, grüsst er sein Gegenüber trocken, den Zauberstab immer noch in der Hand. Statt zu fragen was sie wolle zögert er mit der nächsten Frage. Etwas perplex bemerkt er, dass sie ein ziemlich auffälliges rotes Kleid trägt.
„Sekt?“, fragt er anschliessend als er den süsslichen Duft bemerkt. Kurz darauf kommt die nächste Frage, „Welcher Tag ist heute?“

_________________

Aha, er muss aufräumen. Sharona schmunzelt vor sich hin, während sie ihm den geforderten Moment gewährt. Was er wohl aufräumt? Schmutzige Socken? Leere Whiskeyflaschen? Sie stellt ihn sich einfach furchtbar gern als einen dieser typischen Kriminalhelden aus der englischen Literatur vor. Die, die zuviel rauchen und immer finster drein blicken, dafür aber unschlagbar sind, wenn es darum geht, an winzigen Spuren wichtige Hinweise abzulesen. Der Kommissar lässt sich dann auch endlich blicken und überrascht mit einer sehr passenden Vermutung. Sharona muss ein Kichern unterdrücken, ehe sie eintritt und sich verhalten neugierig umsieht. Keine Socken, keine Flaschen. Und dann würde sie sich bei Conells nächster Bemerkung gerne die flache Hand an die Stirn schlagen. Das kann doch nicht wahr sein!
"Oh Conell!", entfährt es ihr, halb belustigt, halb mitleidig, halb ... nein, Moment ... zu einem Drittel entsetzt. "Sag nicht, du hast keine Ahnung, dass ...!" Kann man das denn fassen? Also Sharona nicht. "Heute ist Silvester.", sagt sie im Ton einer Mutter, die nicht damit klarkommt, dass ihr Sohnemann schon wieder lieber allein im Zimmer hockt, als mit seinen Freunden draußen zu spielen. Es hat etwas liebevoll besorgtes und so sieht sie ihn auch an. Dann weist sie auf sich selbst. "Ich trage nicht umsonst ein Partykleid. Und ja, ich habe Sekt getrunken. Das machen Erwachsene so an Silvester." Sie muss einfach dabei grinsen, denn Conell offenbart eine Schrulligkeit, die wirklich einmalig ist. Wie kann man denn Silvester vergessen? "So geht das wirklich nicht, Mister.", tadelt sie ihn freundschaftlich. "Du kannst doch nicht in deinem Büro versumpfen, während an Hogwarts zum ersten Mal in der Geschichte eine Silvesterfeier abgehalten wird! Das ist ein Großereignis, das man unbedingt miterlebt haben muss." Sagt's und packt den armen Mann am Arm. "Es ist kurz vor zwölf. Wenn wir uns beeilen, kommen wir noch rechtzeitig zum Feuerwerk." So ist es und so wird es gemacht. Widerstand ist zwecklos. Sharona zieht den Auror freundlich aber bestimmt durch die Türe. "Das wird herrlich, ganz bestimmt. Und anschließend musst du unbedingt den Sekt probieren. Ambrosius hat da eine wirklich witzige Marke entdeckt, die prickelt ungeheuerlich im Mund."

(Am See)

_________________
"Humor ist der beste Regenschirm. Man hat ihn immer dabei und er hilft nicht nur bei Regen."
-

„Ah.“, kommt es etwas gleichgültig von Conell zurück als sein Gegenüber ihm mit sichtlichem Enthusiasmus aus seinem Büro zerrt. Nur knapp kann er sich noch seinen schweren Ledermantel vom Haken neben der Türe nehmen bevor selbige hinter ihm ins magische Schloss fällt und die automatischen Schutzzauber und Fallen mit einem unauffälligen Knistern den Raum vor Eindringlingen schützt.
Der Schotte legt keinen Widerstand an den Tag. Die Einladung, wenn man das hier als Einladung sehen kann, nicht anzunehmen, wäre verdächtig gewesen. Verdacht den er sich nicht leisten kann. Auch wenn er die letzten Tage nicht voran gekommen ist. Ihm fehlt immer noch ein Baustein.
Des Weiteren wäre es ein eher unangenehmes Unterfangen gewesen eine enttäuschte und potentiell beleidigte Sharona zu managen.

(Am See)

_________________