31. Oktober - Halloween
14 Uhr

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Homo doctus in se semper divitias habet.
(Ein gebildeter Mensch hat immer Reichtum in sich.)

(<< Große Halle)


Der Wirbel löst sich auf und der Krankenflügel nimmt langsam Gestalt an. Hyperion ist direkt auf das Bett befördert worden, Miss Milliminster auf der einen, Brooke auf der anderen Seite. Die Hufflepuff muss sich erst kurz auf dem Bett abstützen. Apparieren bekommt ihr einfach nicht, ob nun notfallbedingt, oder nicht. Schnell hat sie die Sterne weg geblinzelt. Eine Hand legt sich über ihre. Miss Milliminster übernimmt wohl vorerst den Rest, also die Erstversorgung und erteilt Brooke nur noch knappe Anweisungen. Wäre dies eine Fernsehserie würden sich viele Muggel sicher an Emergency Room oder dergleichen erinnert fühlen...nur das das hier kein Krankenhaus ist und diese tolle technische Ausrüstung fehlt, deren Effizienz doch nicht mit der der Magie zu vergleichen ist. Während Penny also zu Werke geht, sammelt Brooke alle Utensilien, die sie für die Nachbehandlung braucht. Warum macht sie sich diese Mühe überhaupt? Fragt sie sich während sie einige Fläschchen aus einem Schrank fischt und sie mit voll gepackten Armen zu dem Nachttisch neben Hyperions Bett balanciert und abstellt. Jede ihrer Bewegung muss sie mit einem Seufzen kommentieren. Anspannung. Verspannt ist sie. Weil sie nicht hier sein will. Sich nicht um diesen Scharlatan kümmern. Wohin haben sie Raven gebracht? Was wird jetzt mit ihm passieren?
Miss Milliminster weist Brooke auf ihre Abwesenheit hin, bittet um mehr Konzentration. Die wird ihr auch gleich zu teil. Die Blutung wurde schon gestillt und so kommt die unansehnliche Bisswunde zutage. Wieder ein Seufzen.
Hände reibend beendet die Krankenschwester ihre Arbeit. „So das wäre geschafft. Ich will, dass du dich um ihm kümmerst, Brooke. Gib ihm ein leichtes Beruhigungsmittel und den Blut-Möhrensaft.“ instruiert sie ihre Assistentin. Brooke nickt. Widerwillig. „Ich werde Paddywack Bescheid geben, dass alles in Ordnung ist.“ Ein weiteres Nicken. Dann verlässt Miss Milliminster geschäftig den Raum.

Es wird still. Schnaufend wendet sich Brooke von dem Ravenclaw ab, den sie die ganze Zeit recht gefasst als gewöhnlichen Patienten wahrnehmen wollte. Und das muss auch so bleiben. Sie besorgt sich eine sterile Schüssel und füllt sie mit warmen Wasser, um dann zu Hyperion zurückzukehren. Ein Tuch findet sich in der Nachttischschublade. Auf dem Bettrand sitzend befreit sie ihn von dem restlichen Blut. Miss Milliminster hat ihn seines Hemds entledigt, was nicht gerade förderlich für Brookes Stimmung ist, es lässt Erinnerungen wach werden, sehr frische Erinnerungen. „Du weißt, dass du schlimmeres verdient hättest.“ teilt sie ihm kühl mit, während sie das bereits geronnene Blut von seinem Schlüsselbein abwäscht.

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And you lean in for your last kiss,
Who in this world can ask me to resist?
Your hands cold as they find my neck...

(Mumford & Sons - Liar)

(Große Halle)

Er ist so unendlich müde. Liegt das am Blutverlust? Wie viel davon hat er eigentlich gespendet? Wäre durchaus interessant zu wissen, aber Hyperion hat momentan andere Prioritäten. Nicht ganz bei sich, mental nicht wirklich auf der Höhe, nimmt er nur am Rande wahr, was man mit ihm anstellt. Dass der Schmerz nachlässt ist eine der besonders angenehmen Vorgänge, die ihm bewusst sind. Wo sie Raven wohl hingebracht haben? Direkt nach Askaban vielleicht? Eigentlich ist es Hyperion gleich, denn er hat bekommen, was er wollte. Ab heute dürfte es Gewissheit sein, dass Raven ein Vampir ist. Nein, er sagte Halbvampir. Aber das ist ein zu vernachlässigender Unterschied. Zufrieden lächelt Hyperion die hohe Zimmerdecke an und schließt dann die Augen. Ein Gerücht wurde in eine Tatsache verwandelt, ganz ohne Magie und allein durch Hyperions Willen und Handeln. Ravens Leben wird sich ab heute verändern, zwangsläufig. Mal sehen, was die Eltern der Schüler dazu zu sagen haben, wenn die ganzen Eulen erst einmal angekommen sind, die sicher schon bald ausgesendet werden - mit den neuesten Nachrichten aus Hogwarts, der Freakschule.

Etwas Nasses berührt seine bloße Brust und Hyperion schlägt die Augen auf. Es ist ein feuchtes Tuch und benutzt wird es von Brooke, die bei ihm sitzt und sich um ihn kümmert. Welch Ironie! Er schenkt ihr ein Lächeln auf ihre Aussage hin. Schlimmer? Was wäre denn schlimmer? Der Tod?
"Du hättest ... mich gern tot geseh'n ... hm?", formuliert Hyperion und sein Atem kommt ihm immer noch seltsam schwach vor. So viel Blut kann er doch gar nicht verloren haben. Wobei - er war von gestern noch geschwächt, eigentlich kein Wunder, dass er jetzt so zusammengeklappt ist.

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If I was in a room with you and two werewolves
and I had a gun with two silver bullets,
I'd shoot you.
Twice.

Tot. Hyperion Scone tot. Nein. Diese Schlagzeile weckt keine Befriedigung in der Hufflepuff. Es wäre zu einfach. Mehr Leiden. Das wäre ein Fortschritt. Raven hätte vorher noch an den Hufflepufftisch kommen sollen. 'Hey, ich will gerade noch den Beziehungszerstörer verprügeln. Lust zu zu sehen?' Jaha. Und trotzdem noch nicht genug Befriedigung. Physischer Schmerz ist mit dem des ehemaligen Paares nicht aufzuwiegen.
Brooke erhebt sich und wringt das Tuch in der Schüssel aus, in der das Blut feine, rote Schlieren malt.
„Den Fehler kann ich noch beheben.“ ein Grinsen ist aus ihren Worten heraus zuhören, trotzdem wird man keines auf ihrem Gesicht vorfinden. Der Blut-Möhrensaft wird in ein bereitgestelltes Glas gegossen. Dann gibt die Krankenflügelpraktikantin noch einige Tropfen von dem vorgeschriebenen Beruhigungsmittel mit einer Pipette hinzu. Einmal umrühren. Fertig. Den Trank bekommt sogar die Zaubertrankniete von Hufflepuff hin.
„Kannst du dich aufsetzen?“ Eigentlich ist es schon fast eine rhetorische Frage, dementsprechend agiert das Mädchen auch. Zuerst hebt sie einhändig seinen Oberkörper etwas an, mit der anderen versucht sie das Saftgebräu nicht überschwappen zu lassen. Dann quetscht sie sich, mit dem entsprechenden Beingeruder, zwischen ihn und das Bett um ihn dann mit ihrem Körper hoch zuhieven und in die Teilvertikale zu befördern. „Du bist schwer.“ wirft sie ihm mürrisch vor. Das hätte ihr gestern schon auffallen müssen. Argh. Das Glas mit der orangefarbenen Flüssigkeit wird an Hyperions Lippen geführt. „Blut-Möhrensaft.“ erklärt sie. „Hört sich doof an. Hilft aber.“

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And you lean in for your last kiss,
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(Mumford & Sons - Liar)

Eine Augenbraue zu heben ist nicht schwer und deshalb bekommt Hyperion es auch ohne Probleme hin, als Brooke diesen makaberen Scherz macht.
Es ist doch ein Scherz?
Misstrauisch beobachtet Hyperion die Vorbereitungen ihrerseits und denkt kurz darüber nach, ob sie ihn vergiften würde. Dann denkt er noch einmal etwas länger darüber nach. Während dem Aufsetzen, beziehungsweise Aufgesetztwerden. Er hilft ja mit, doch sein Körper protestiert gegen die Anstrengung. Schlaf scheint das einzige zu sein, das Hyperions Körper wirklich will. Das Gebräu will er jedenfalls nicht und Hyperion verzieht das Gesicht. Sie will ihm das nun wirklich einflößen? Sie? Diejenige, die er um ihren Freund gebracht hat? Nein, er muss andersrum fragen: Er will sich das jetzt wirklich von ihr einflößen lassen, von ihr, die er um ihren Freund gebracht hat?
Weiter gedacht: was tut sie, wenn er sich weigert? Petrifikus Totalus und ein Trichter? Hyperion trinkt widerwillig und wischt die paranoiden Gedanken fort. Brooke vergiftet ihn nicht. Eher bricht Raven aus Askaban aus und bringt zu Ende, was er in der Großen Halle angefangen hat.
"Warum machst du das?", fragt er Brooke, nachdem er diesen Saft mit dem albernen Namen ausgetrunken hat. "Reine Krankenschwesternpflicht?" Er mustert sie aufmerksam, so aufmerksam wie man sein kann, wenn einem immer noch schwindlig ist, weil einem literweise Blut fehlt. "Ist es nicht irgendwie ... ich weiß nicht ..." Er zuckt mit den Schultern. "... erniedrigend, sich um mich zu kümmern?" Eigentlich eine dumme Idee, eine Person solche Dinge zu fragen, die man sehr verletzt hat und der man gerade ziemlich hilflos ausgeliefert ist. Aber Hyperion hat vor kurzem einen Halbvampir dazu gebracht, ihn zu beißen - er hat im Augenblick den Eindruck, nie mehr vor irgend etwas Angst zu haben.

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If I was in a room with you and two werewolves
and I had a gun with two silver bullets,
I'd shoot you.
Twice.

Blut-Möhrensaft wird nicht, wie man denken könnte, aus Blut-Möhren hergestellt. Neinnein. Blut steht schlicht und ergreifend für die Wirkung, nämlich die Anregung der Blutproduktion. Und Möhren ist auf den Geschmack zurückzuführen. Ursprünglich wird der Saft aus einer Pflanze gewonnen, deren Name allein eine halbe Seite füllt: Flaeius dingusta amstaria olgadina pferfferminzia sum es est est summus estis sunt, weiß der Irrwicht! Ein kurzer Exkurs.

Brooke empfindet eine gewisse Genugtuung als sie Hyperions Zögern bemerkt. Es ist gut zu wissen, wie andere Leute einen einschätzen. Auch wenn der Ravenclaw die Situation nicht ganz richtig auslegt. „Erniedrigend?“ Es muss ihn langsam nerven, dass sie ihn andauernd wiederholt, aber manchmal sind seine Gedanken für sie unverständlich. Sie erhebt sich abwesend und lässt ihn wieder aufs Bett sinken. Dann werkelt sie unnötig auf dem Nachttisch herum, obwohl sie eigentlich nur das Glas abstellen wollte.
Resümieren wir mal die Situation: Hyperion liegt schwer verletzt auf dem Krankenflügel, auf dem Brooke freien Zugriff auf allerlei gemeine Medizin hat und solche, die nur vorgibt welche zu sein. Hinzu kommt, dass die Hufflepuff, aufgrund der Abwesenheit von Miss Milliminster, die einzige Person ist, die Hyperion zurzeit helfen kann. Müsste sie das nicht eher in eine gewisse Machtposition heben?
„Wäre es erniedrigend, würde ich es nicht machen. Da mach dir keine Sorgen.“ beginnt sie nachdem sie zur Abwechslung mal anständig nachgedacht hat. „Es ist meine Pflicht.“ bestätigt sie, um dann weiter auszuholen. „Ich denke kaum, dass es im Arbeitsvertrag einer Heilerin eine Klausel gibt, die besagt, dass sie nur Menschen hilft, die nicht ihr Leben zerstört haben.“ Heilung muss allen zugänglich sein. Egal wie sehr man einzelne verabscheut. Vielleicht macht Hyperion in ferner Zukunft eine bahnbrechende Erfindung, die der ganzen Menschheit weiterhilft. Wer weiß? Oh! Der Hufflepuffoptimismus ist wieder da! Welcome Back!
Brooke wendet sich wieder ihrem Patienten zu und zieht die Bettdecke, die zerknüllt am Fußende liegt, über den halbnackten Körper. „Und selbst wenn. Soweit ich das hier sehen kann, bin ich immer noch diejenige, die auf die hinab blickt.“ ihre Lippen formen sich zu einem gefährlichen Lächeln. Hyperion mag Raven vorgeführt habe, er mag das Paar auseinander gebracht haben. Aber sie stehen beide noch und Brooke wird ihm den Sieg nicht gönnen, zumal der Begriff des Siegens so herrlich biegsam ist.


Brooke ist erleichtert, als Hyperion endlich eingeschlafen ist. Menschen, die unter Einfluss von Beruhigungsmitteln stehen, reden wirklich nur noch Müll. Und wie gerne sie das auch auf den Ravenclaw projiziert hätte, müsste man sie eine Lügnerin nennen, wenn sie es täte. Er war voll da, bis er langsam weg döste und trotzdem hat seine Gesprächigkeit sie zu der Überlegung geführt, ihn mit ihrem Gürtel zu erwürgen und Miss Milliminster zu sagen, dass seine Wunde wieder aufgebrochen sei und die Aushilfsschwester nur wieder die Blutung stillen wollte. Glücklicherweise konnte die Hufflepuff sich zurückhalten, so dass sie nun in Ruhe aufräumen kann, ohne sich andauernd paranoid umzudrehen, weil sie denkt Hyperion könnte sie beobachten. Nicht bei der Dosis an Schlafmittel. Da könnte eine Horde schreiender Riesenbabys durch den Raum rennen und ein Erdbeben der Stufe 5 verursachen, kaum vorstellbar was für einen Krach noch dazu käme. Aber Mister Scone würde schlafen. Mindestens bis zum nächsten Mittag.
Schüssel mitsamt Tuch und dem benutzen Glas bringt zum Waschbecken, das in der Nähe des Schwesternzimmers angebracht ist, dort muss sie die Gebrauchsgegenstände nur hineinlegen und diese säubern sich dann von ganz allein, so dass Brooke nur noch das Wegräumen erledigen muss. So wuselt sie, leise summend, durch den Raum und versucht sich möglichst viel auf ihre Arbeit zu konzentrieren und dabei so wenig wie möglich ihren Gedanken nachzuhängen. Die werden nämlich, wie es früher eigentlich üblich war, wieder nur von einem Mann beherrscht.

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And you lean in for your last kiss,
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(Mumford & Sons - Liar)

(Große Halle)

Er kommt an, er kommt rein, die Schwingtüren schwingen hinter ihm zu und verpassen der verfolgenden Feder einen ordentlichen Stoß. Sie prallt an das nächste Fenster, schüttelt sich irritiert und schiebt sich dann beleidigt unter der Türe durch, gefolgt von einem zerknitterten Pergament. Mike hat davon nichts mitbekommen, er orientiert sich gerade: junger Typ im Krankenbett, schlafend; junge Frau, arbeitend. Das ist aber nicht die Krankenschwester, Moment, wer ist das Mädel doch gleich noch mal? Es macht 'Klick' und Mike sagt laut und vernehmlich: "Miss Lucid?"
Hoffnungsvoll lächelnd strebt der Reporter auf sie zu, die er als Praktikantin erkannt hat. Das Kollegium hat er gründlich studiert und dazu zählen auch solche Posten. Man muss wissen, wen man für welche Belange ansprechen kann. Irgendwie fühlt er sich erleichtert, dass er ausgerechnet sie hier antrifft und nicht Miss Milliminster. Die pummelige Dame ist ihm irgendwie unheimlich. Es mag die Paarung von Hilfsbereitschaft und Unerbittlichkeit sein, oder einfach die Tatsache, dass er sie noch aus seinen eigenen Schulzeiten kennt. Miss Lucid ist ihm da deutlich lieber. Er hält vor ihn an, lächelt auf sie hinab und legt ohne weitere Vorwarnung los.
"Brooke Lucid, nicht wahr? Michael Mendrake mein Name, du kannst mich Mike nennen." Er strahlt immer noch und versucht nun, eine etwas sachlichere Miene aufzusetzen. Immerhin geht es um ein ... Verbrechen? Na, keine Ahnung, aber das will er ja herausfinden. "Wer ist denn der Patient und in welche Klasse geht er? Weshalb wurde er angegriffen? War es eine Prügelei? Ich hörte, es ginge um ein Mädchen. Ist er sehr schwer verletzt? Es hieß, er wäre gebissen worden. Handelt es sich vielleicht um einen Biss-Zauber? Er ist nicht wirklich gebissen worden, oder?" Das waren zu viele Fragen und Mike gibt sich innerlich einen Tritt, denn eine wichtige Reporterregel lautet: Schritt für Schritt - überfalle niemals deine potenziellen Interviewpartner, sie könnten aus Überforderung dicht machen, dann erfährst du gar nichts mehr. Aus Schuldbewusstsein schenkt er der jungen Dame ein besonders charmantes Lächeln. Sonst ein sehr wirkungsvolles Mittel, das ihm sämtliche Sympathien sichert, aber bei seinem Pech heute bekommt er sicher gleich die Standpauke seines Lebens.

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"Wir glauben, Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns." (Eugène Ionesco)

Die Schüssel ist wieder verstaut und Brooke will gerade beginnen fieberhaft über eine neue ablenkende Tätigkeit nachzudenken, als sie ihren Namen hört. Wie auf Kommando! Sie bleibt stehen und lässt den Mann, der so eben den Krankenflügel betreten hat auf sie zu schreiten. Er stellt sich als Michael Mendrake vor. Klasse, jetzt hat sie nen Reproter an der Backe, der sie sogleich mit Fragen bombardiert. Sie blickt ihn an mit einer Mischung aus Missmut, Verzweiflung und aufgesetzter Freundlichkeit an. Die hinter ihm schwebende Feder straft sie mit einem bösen Blick. Noch nie hatte sie mit Reportern zu tun. Doch sie glaubt jetzt schon ansatzweise verstehen zu können , warum Christopher sie nicht leiden kann.
Sie sind neugierig und stecken ihre Nase in Angelegenheit, die sie nichts angehen und sie sind schwer abzuwimmeln. Eigentlich trifft das auf jeden zweiten Hufflepuff zu.
„Es tut mir Leid.“ seufzt sie. „Auch wenn ich nur eine Praktikantin bin und keinen Eid geschworen hab, bin ich mir fast sicher, dass ich unter so was wie ärztlicher Schweigepflicht stehe.“ Entschuldigend senkt sie den Blick. Doofe Ausrede, wobei wirklich was dran sein könnte. Aber eigentlich will Brooke nur nicht darüber reden, denn das würde bedeuten sie müsse erst darüber nachdenken.
„Warum interessiert Sie das überhaupt?“ formuliert sie eine Gegenfrage, da ihr gerade wieder eingefallen ist, woher sie seinen Namen kennt. Ihr Vater ist Abonnent dieser Zeitschrift. Und der Name dieses Reporters hat unter einigen Artikeln gestanden. Seltsam sie hat sich immer einen alten, etwas zerstreuten, grauen Herrn vorgestellt. Nicht so nen Jungspund. „Seit wann wollen Wissensmagazine etwas über Teenie-Tragödien erfahren? Sind Sie schon lange dabei? Sie wirken nicht gerade sehr professionell.“ stellt sie fest und betrachtet ihn mal so ganz objektiv. Sie hatte noch nie etwas mit Reportern zu tun, aber jemandem unbekannten so viele Fragen zu stellen...Nun gut. Der arme Kerl kann kaum wissen, dass das Geschehen in der Halle etwas mit Brooke zu tun hat. Sie lächelt zurück, nicht ganz so charmant wie er doch mit der gleichen Intention. Schließlich waren ihre Fragen gerade alles andere als höflich.

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(Mumford & Sons - Liar)

In Mikes Mimik ist deutlich zu lesen: Ach Menno! Die Feder notiert eingeständig das Wort 'Schweigepflicht' und zeitgleich mit einem Stirnrunzeln seitens des Reporters kringelt sie ein Fragezeichen dahinter. Allerdings kommt sofort Mikes zweiter Enttäuschungsmoment in diesem Gespräch. Seine Mundwinkel sinken, sein Blick bekommt etwas, das alte Damen dazu nötigen würde, ihm ein Bonbon zuzustecken. Nicht professionell? Aua. Und wie recht sie doch hat. Mit dem Blick auf dem Boden und einer metaphorischen Regenwolke über dem Kopf denkt Mike an die Kommentare seiner Kollegen. Es gibt welche, die ihn ernst nehmen. Wenige, aber es gibt sie. Was kann er denn dafür, dass er noch so jung ist, die Leute lieber duzt und alles spontan angeht, statt sich jede Frage vorher gründlich zu überlegen? Hm, na gut, er kann was dafür, außer für Punkt eins.
"Ich ... chrm ... also ..." Mike versucht ein lässiges Gesicht. Es gelingt nicht. Vor allem deshalb, weil sie seinen wunden Punkt getroffen hat. Er knickt ein und gesteht: "Meine Eltern sind Verleger und deshalb, also, ich konnte direkt nach der Schule anfangen und ... aber ..." Es kommt etwas mehr Leben in den jungen Mann, tapfer richtet er sich zu voller Größe auf. "Das heißt nicht, dass ich nicht professionell wäre. Ich bin ... unkonventionell."
Höchst erfreut über diese glänzende Formulierung kommt auch das Lächeln zurück.
"Und das WKK interessiert sich vor allem über die Hintergründe. Über das, was in den Menschen vorgeht. Das ist vielleicht weniger Wissen und Kunst, dafür hat es was mit Kultur zu tun. Aßerdem kann alles rund um das Trimagische Turnier wichtig sein." Sicherer Boden unter den argumentativen Füßen, Mike geht es wieder gut. Zeit für eine Hundertachtziggradwende. "Aber jetzt mal ehrlich, Brooke." Er beugt sich vertraulich vor. "Hast du wirklich eine ärztliche Schweigepflicht? Wenigstens den Namen des Burschen könntest du mir verraten, ich bekomme ihn ja eh raus." Verschmitzt sieht er die Schülerin an.

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"Wir glauben, Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns." (Eugène Ionesco)

Och geeee. Da hat Brooke den armen Mike wohl ertappt. Verunsichert steht der junge Reporter vor ihr. Wie ein Schüler, der unvorbereitet zur Abfrage an die Tafel gerufen wurde. Doch er fängt sich recht wieder. Trotzdem hat er sich mit diesem Verhalten etwas Sympathie von dem Mädchen ergattert. Auch wenn er eventuell schon genug Vorzugsbehandlung in seinem Leben erfahren hat. Verlagseltern. So genau wollte die Hufflepuff es eigentlich gar nicht wissen.

„Hyperion Scone.“ informiert sie ihn schließlich, als er erneut fragt und sie darauf hinweist, dass er es sowieso herausfinden wird. „Sechste Klasse, Ravenclaw. Falls Sie das auch interessiert.“ Sie wendet ihren Blick auf den schlafenden Jungen. Im Schlaf kann sogar er unschuldig wirken. Verletzlich. Verletzt ist er ja noch dazu. „Und glauben Sie mir, was in ihm vorgeht, will man gar nicht wissen.“ Unverhofft sieht Brooke die Chance sich mal wieder etwas Luft zu machen. Auch wenn sie mit Rhonda sicher besser über ihn herziehen könnte. „Er ist ein Arschloch.“ beginnt sie. „Er hat ein Mädchen erpresst, damit sie eine Affäre mit ihm anfängt. Es lief eine Weile gut. Aber als sie nicht mit ihm schlafen wollte, hat er alles ihrem Freund gesteckt. Der arme Kerl, den sie unten wie einen Gefangenen abgeführt haben.“ sie pausiert kurz. Es so neutral zu erzählen, fühlt sich irgendwie seltsam an und gleichzeitig tut es nicht so weh. „Ich werde Ihnen nichts über ihn erzählen. Da müssen sie schon zu Paddywack gehen.“ Über Raven wird sie kein weiteres Wort verlieren. „Die Verletzungen von dem hinterlistigen Subjekt da sind nicht so schlimm, wie sie aussehen und er hat jede einzelne verdient.“ erklärt sie weiter und sucht den Blickkontakt mit Mike, um sicher zu gehen, dass sie einfach fortfahren soll. „Er hat mutwillig die Leben zweier Menschen zerstört. Aus ihrer Schwäche heraus.“ Brookes Stimme wird von dem Kloß, der sich gerade in ihrem Hals bildet, gedämpft. Mit 'ihrer Schwäche' meint sie keineswegs den Plural. „Wollen sie wissen, wer das Mädchen ist?“ fragt sie mit Tränen in den Augen.

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(Mumford & Sons - Liar)

Hyperion Scone, kritzelt die Feder. Mike freut sich wie ein frisch gekrönter Schneekönig. Ein Erfolgserlebnis, endlich! Endlich mal jemand, der ihm nicht begegnet wie die Dorfbewohner dem Monster von Frankenstein. Keine Mistgabeln, dafür Informationen. Das Mädchen ist Trostpflaster, Goldgrube und Kurort in Personalunion! Sechste Klasse, Ravenclaw. Mike nickt, natürlich will er so etwas wissen. Er würde auch die Schuhgröße notieren, man weiß ja nie, ob es mal wichtig wird.
Miss Lucids nächsten Worte lassen Mike dann aber verdutzt blinzeln. Wie, was, Arschloch? Das hat sie gerade nicht gesagt, oder etwa doch? Er blickt zu dem schlafenden Schüler, ein hübscher Junge mit etwas blassem Gesicht. Dann aber geht es sogar noch viel überraschender weiter und Mikes Blick findet zu Brooke zurück. Sie erzählt etwas, das sich so sehr nach dramatischem Teenie-Roman anhört, dass er es erst nicht glauben kann. Verführung, Erpressung ... ist das hier wirklich Hogwarts? Mike sieht sich kurz um. Ja, eindeutig Hogwarts. Oder veralbert sie ihn etwa? Forschend blickt der Reporter dem Mädchen in die braungrauen Augen. Oh je ... Tränen? Mike lächelt immer noch, doch es sieht aus wie das Lächeln eines völlig verzweifelten Mannes. Die rhetorische Frage der Schülerin steht noch im Raum. Es ist definitiv eine rhetorische Frage, denn so, wie sie ihn gerade ansieht, ist sogar einem Schussel wie ihm klar, wer das besagte Mädchen ist.
Schnell ruft Mike sich noch einmal alle Informationen ins Gedächtnis, um sie mit Brooke Lucid zu verknüpfen: Sie wurde erpresst, sie hatte eine Affäre, sie wollte nicht mit Hyperion Scone schlafen - kurzer Seitenblick zum entsprechenden Krankenbett - ihr Freund ist ausgetickt, jetzt ist sie hier als die Krankenschwester des Typen, der für alles verantwortlich ist ... oookaaay. Mike blinzelt und schluckt dann die Irritiation hinunter, ehe er der Schülerin eine Hand an den Oberarm legt, selbigen freundlich auf und ab streicht und sagt: "Verstehe." Mehr weiß er gerade nicht zu sagen. Was sagt man nach so einer Geschichte auch? 'Gut zu wissen'? 'Tut mir leid für dich'? 'Echt krass'?
Seine Feder kratzt über das Papier und in der Stille wirkt das Geräusch fast laut. Mike runzelt die Stirn und wendet sich halb zu dem Duo um. Da schreibt sie doch glatt alles auf und ist gerade bei 'Tränen in den Augen' angelangt. "Ksch!", macht Mike und wendet sich dann wieder Brooke zu; Feder und Papier segeln zum nächsten Nachttisch und nehmen sich eine Pause.

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Warum hat sie ihm das alles gerade erzählt? Warum muss sie gerade jetzt platzen, diese Blase aus Gefühlen, Gedanken und Verwirrung? Warum verfolgt sie dieses 'Warum'? Warum Brooke? Warum Brooke? Sie will es nicht mehr hören. Sich nicht mehr diese Fragen stellen müssen. Sie will verstehen.
Mike versteht. Wirklich? „Oh!“ ist Brookes erster Kommentar und es klingt zu hell für ihre sonst so ruhige Stimme, die eher alt als sopran ist. Dankbar schlägt sie die Augen nieder, als Mike sein Schreibwerkzeug in die Ecke verweist. „Dann sind Sie mir einen Schritt voraus.“ es klingt nach, mit einem bitteren Lächeln. Dann atmet sie tief ein. Das Letzte, was sie zurzeit braucht, ist Trost oder Mitleid, darum wendet sie sich von Mike ab und begibt sich zu Hyperion.
Wie sie ihn gerade beneidet, um diesen traumlosen Schlaf, den er erleben darf. Um den Frieden und die Ruhe. Wie sie sich selbst dafür hasst, dass sie nicht aufhören kann etwas, auch nur irgendetwas für ihn zu empfinden. Er soll ihr einfach egal sein. Gleichgültig.
Sie stützt sich auf sein Bett und betrachtet sein glattes Gesicht. Sie fühlt sich schwach. Als würde diese Gefühlslast schon ewig auf ihr ruhen, obwohl sie erst diese Nacht auf die niedergeschmettert wurde.
„Gibt's sonst noch was, Mike?“ erkundigt sie sich gefasst. „Wenn dem nicht so ist, hab ich eine Bitte.“ sie lacht leise. „Können Sie das für sich behalten? Wenigstens noch für eine kleine Weile?“

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(Mumford & Sons - Liar)

Sie scheint wirklich verwundert darüber, dass er sie versteht. Vielleicht, nein, bestimmt ist die Sache noch viel komplizierter, als er es jetzt erfassen kann. Ein wenig betreten sieht Mike ihr nach, wie sie an das Bett des Schuldigen herantritt. Sie wirkt Mikes Geschmack nach viel zu gefasst, er an ihrer Stelle ... hm, er kann es sich nicht vorstellen, aber er weiß, er wäre nicht so gefasst wie sie. Oder reißt sie sich nur zusammen, weil ein Reporter anwesend ist? Nein, dann hätte sie ihm erst gar nichts erzählt.
Mike bleibt, wo er ist, steckt seine Hände in die Hosentaschen und betrachtet nachdenklich Brookes Gestalt. Sie wirkt in diesem Moment viel älter als sie ist. Sie muss eine verdammt schwere Zeit hinter sich haben, mit all dem heftigen Emotionskram, den solche Erlebnisse mit sich bringen. Als sie sagt, sie hätte eine Bitte, horcht Mike auf.
"Hm, natürlich." Mike lächelt seicht. "Ich bin kein Klatschreporter, der Sensationen sofort an seinen Verlag weiterleitet." Nein, das ist er nicht. Schon allein deshalb, weil das WKK nicht täglich erscheint. Er hat Zeit abzuwarten, Zeit auszuwählen, Zeit für tieferes Verständnis und auch Zeit, um zu erkennen, dass etwas persönlich ist und bleiben sollte.

Mike beschließt zu gehen, Brooke will sicher allein sein. Doch am Ende steht er neben ihr am Bett des Patienten, der wohl ein echter Mistkerl ist. Er blickt auf ihn hinab, relativ gleichmütig, dann sieht er Brooke von der Seite her an. Irgendwie würde er sie wirklich gerne trösten, doch in solchen Dingen ist Mike bekannt dafür, in ein Fettnäpfchen nach dem anderen zu treten. Heikel bei einer Geschichte wie dieser. Ihm kommt aber doch ein Einfall.
"He, also ... wenn du mal jemanden zum Reden brauchst, jemand neutralen, meine ich ..." Er schenkt ihr ein aufmunterndes Lächeln. "... dann kannst du jederzeit zu mir kommen. Ich bin ja auch Privatmensch, nicht nur Reporter. Und nicht alles, was man mir erzählt, wird in irgendeiner Kolumne verwurstet." Sacht berührt er das Mädchen am Arm. "Also dann lass ich dich mal in Ruhe, hm? Mein Büro ist im zweiten Stock des Gryffindorturms ... falls du mein Angebot in Anspruch nehmen willst." Mike setzt sich in Bewegung und winkt seinen Utensilien, die ihm wie brave Schoßhunde folgen. Auf halben Weg wendet er sich noch einmal um. "Und bitte ... sag 'du' zu mir." Damit verlässt er den Krankenflügel.

(Fin.)

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