[Quidditch-Stadion]
Darian beachtet die hinab fallenden Stifte, die den Boden kurze Zeit später grüßen, ebenso wenig wie Leanders vermeintliche Begrüßung an ihn. Sein Fokus liegt ganz auf Leander, ganz auf dem Objekt, an dem er endlich seine aufgestaute Wut, all seine Unzufriedenheit, die ihn von innen quält, auslassen will. „Du!“, donnert er ihm entgegen und wischt das Flehen seines Opfers damit einfach beiseite. Es klingt wie die Vorwarnung auf das, was nach kurzem Zögern – soll er ihn nicht doch in Ruhe lassen? - Darians eintritt. Der Slytherin lässt den bedrohlich erhobenen Stab durch die Luft sirren. Er hebt den Ravenclaw wieder von seinen Füßen, hoch lässt ihn für den Bruchteil einer Sekunde schweben, dann manövriert er ihn mit einem weiteren Stabschwung unsanft an die nächste Wand, drückt ihn feste gegen den kalten Stein. Los, quieke, zapple du kleines Schlammblut! Die finsteren Augen fixieren das Kaninchen durch die dunklen Haarsträhnen seines Ponys hindurch, während er sich Leander nähert. Bei ihm angekommen, schenkt er seinem persönlichem Lieblingsopfer sein schmales, unheilvolles Grinsen, um seine eigenen Gedanken zu kaschieren, sein eigenes Forschern nach seiner inneren Anspannung, seiner Wut, die auf ihn drückt, einer Kette gleich seine Seele umschließt. Ist schon Linderung zu spüren? Doch der Schmerz ist noch immer vorhanden. Ohne auf Leanders Reaktionen zu achten hebt Darian seine linke, freie Hand und umschließt mit den Fingern, die den Ravenclaw vor etwa einem Monat beinahe erwürgt haben, dessen Kragen seines blauen Pullovers, drückt ihn so nun auch mit physischer Kraft an die steinernen Mauern Hogwarts, sodass seine Magie frei ist, anders genutzt zu werden. Tu es! Lass ihn leiden, es wird dir helfen, Darian! Quäl ihn! Die zischelnde, drängende Stimme in seinem Kopf hat recht, er sollte dem Siebtklässler einfach den nächstbesten schwarzen Fluch um die Ohren jagen, der ihm einfällt, ihm seine Eingeweide zusammendrücken, ihm alle Knochen brechen, ihn mit unsichtbaren Fesseln strangulieren oder anderweitig die Luft zum Atmen rauben. Aber nichts davon passiert. Seit nunmehr fast fünf Minuten befindet sich die Schlange mit dem Kaninchen in einem Raum und tut nicht mehr als es mit ihrer bloßen Anwesenheit zu bedrohen. Scheinbar überlegend, wo er ihm zu erst Schmerzen zu fügt, fährt die Zauberstabspitze über Leanders Körper, verweilt einmal einen Augenblick lang an einer Stelle und wandert dann weiter. In Wirklichkeit kostet es Darian seine ganze Selbstbeherrschung den Stab nicht einfach sinken zu lassen, nicht einfach zu gehen und nur seine eigene innere Unruhe veranlasst ihn hier zu bleiben. Es muss endlich aufhören, dieser Zustand, seine Wut muss raus, und doch geht es nicht, es verschafft ihm keine Linderung hier bedrohlich vor Leander zu stehen, seine Angst zu spüren, sein Leben in den Händen zu halten, es auslöschen zu können, wenn er einfach zudrückt. Er hat es schon einmal getan. Er hat es schon einmal fast bei dem Ravenclaw getan. Der Griff seiner Finger um den Kragen seines Opfers wird stärker, während sein Zauberstab allmählich den Hals erreicht. Gleichsam wandern auch Darians finstere Augen, die in den letzten Sekunden seiner Stabspitze gefolgt sind. Kalt ruhen sie auf dem blassen Hals Leanders, erheben sich dann allerdings zu dessen Gesicht, um die panische Angst, die Schwäche in seinen blaugrauen Augen zu sehen, in der Hoffnung sie würden ihn entscheidungsfreudiger werden lassen. Und in der Tat, eine Entscheidung stellt sich ein, aber nicht die gewünschte Darians. Kaum dass sich ihre Blicke treffen, erstarrt der Slytherin. Nein, Leander ist nicht plötzlich mutig geworden und blitzt ihn entschlossen an, nein, Angst ist da, auch die Schwäche und etwas anderes. Er kennt die Augen seines Opfers durch das jahrelange Quälen gut, sehr gut. Kennt die Farbe seiner Iris, die zur Angst geweiteten Pupillen und das bittende Flehen ihn in Ruhe zu lassen. Aber heute ist etwas anders, da ist Zerbrechlichkeit, Verletzung einer ganz anderen Art. Dass es Leander nicht gut geht hat der finstere Siebtklässler sehr wohl gewusst, aber wie es wirklich um ihn steht, davon hatte er keine Ahnung, bis jetzt. Man könnte das andere in Leanders Augen schon fast als Lebensunwillen interpretieren. Der Ravenclaw war bereits am Boden bevor er hier auftauchte. So macht das keinen Spaß, so bringt es ihm überhaupt nichts, er kann seine Wut, seinen Hass nicht an ihm auslassen. Schlangen fressen keine toten Tiere. Und die Erkenntnis trifft Darian so hart, dass er seinen Griff lockert, spürt wie der Stoff des Pullovers durch seine Finger kleidet und auch sein Stab sich klirrend zu den Stiften am Boden gesellt: Er, Darian Damon, leidet, weil Leander leidet! Er ist wegen ihm dieser ruhelose Tiger, der will aber nicht kann. „Verdammt!“, brüllt er in die Stille, die Faust, in der sich eben noch sein Stab befunden hat, ballt sich erneut zusammen, und dann, ohne eine erneute Vorwarnung, rammt er sie gegen die raue Wand. Ein stechender Schmerz durchzuckt seinen rechten Arm, aber wenigstens verdeckt dieser für einen Augenblick seine seelische Unruhe. Ein resignierender Seufzer verlässt seine Lippen, während er seine demolierte, blutende Hand betrachtet, und seine mit Mühe aufrechterhaltene bedrohliche Ausstrahlung bricht endgültig in sich zusammen. Jetzt ist er wieder der äußerlich ruhige Schüler, der er gewesen ist, als er noch auf dem Weg zum Stadion war. „Leander, verdammt, was ist mit dir los?“ Er hebt den Blick, sieht den Ravenclaw an und spricht in dem selben Tonfall, den sonst nur Rhyll zu hören bekommt und den Leander von ihrem etwas anderem Treffen kennen müsste. „Hat dir dieses Schlammblut von einem Iren etwas angetan?“, warum er ihn so direkt nach seinem Freund fragt, weiß er selbst nicht genau. Aber egal was es ist, er will es wissen. Er muss es wissen. Andernfalls hört dieser Zustand wohl nie auf.
_________________ Wenn du plötzlich gefangen bist So wie ein Vogel im Käfig, aus Wut und aus Angst Wenn du plötzlich gefangen bist Und hast den Wind der Freiheit lang auf deiner Haut nicht mehr gespürt
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